Die Werte der Otto Group, ihr Innovationsgeist, ihre Kundenorientierung gehen auf eine Person zurück. Der Geist Werner Ottos, des Gründers, ist im unternehmerischen Handeln und im Betriebsklima bis heute lebendig.
Werner Otto verstand sich stets weniger als Chef denn als Teil eines Teams. Schon als die ersten Kataloge zusammengestellt wurden, klebte er Fotos mit ein. Ein kollegiales und freundschaftliches Betriebsklima ging ihm über alles. In strengen Wintern wurde gern ein Grog ausgeschenkt – „für die Gesundheit“ (es waren die 1950er). 1956 führte er die Fünf-Tage-Woche als Norm im Unternehmen ein. Und in den frühen 1960ern – also lange bevor „Onboarding“, das freundliche Willkommenheißen im Unternehmen, Standard wurde – begrüßte Werner Otto neue Mitarbeitende mit einer sehr herzlich gestalteten Broschüre: „Auf gute Zusammenarbeit“. Führungskräfte ermahnte er, sie sollten die „Abteilungsangehörigen fachlich anleiten und über Zweck und Bedeutung der gestellten Aufgaben unterrichten“. Auf bloßen Gehorsam, auf stures Abarbeiten legte Otto keinen Wert. Er wusste, und war auch damit seiner Zeit weit voraus, dass Menschen dann am produktivsten sind, wenn sie ihre Tätigkeit als sinnvoll empfinden, wenn sie eigene Ideen einbringen können und das Gefühl haben, dass ihre Stimme gehört und geschätzt wird. Über allem stand der Gedanken: Die Wirtschaft ist für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für die Wirtschaft.
Vor allem aber verstand Werner Otto von Anfang an, dass ein Konzern nur dann erfolgreich sein kann, wenn er flexibel ist und bleibt, wenn er sich den ständig ändernden Anforderungen des Wirtschaftslebens anpasst. Sein persönliches Motto hieß „Panta rhei“ – „Alles fließt“. Frühzeitig setzte man bei OTTO auf technische Neuerungen, um bei ständig wachsendem Umsatz die Datenflut bewältigen zu können. Denn Otto wusste, dass man sich unter strengen Konkurrenzbedingungen nur dann bewähren kann, wenn man Kund*innen mit einem Maximum an Service, Schnelligkeit und Verbindlichkeit überzeugen kann. So führte OTTO die Bezahlung per Rechnung als erster Versandhandel in Deutschland bereits 1950 ein. Schon 1955 wurde ein Lochkartensystem zur Datenspeicherung eingeführt. 1960 wurde die erste elektronische, damals hochmoderne Datenverarbeitungsanlage mit dem zugegeben sperrigen Titel UNIVAC UCT eingeführt. Die gesamte Auftragsabwicklung wird seither elektronisch prozessiert – natürlich nicht mehr mit dem ursprünglichen System, sondern mit zeitgenössischen Lösungen. Ab 1962 konnten Kund*innen telefonisch bestellen – ein Weg, der später mit dem konsequenten und mutigen Ausbau des E-Commerce weiter beschritten wurde.
1965 stellte Werner Otto erneut seinen Gründergeist unter Beweis und gründete – operativ und personell völlig unabhängig von OTTO – die ECE Projektmanagement GmbH, eine Entwicklungs-, Bauträger- und Managementgesellschaft für Einkaufscenter in Europa. Auch OTTO entwickelte sich weiter – zu einer Holding, der später und bis heute so genannten Otto Group. Im Laufe der mehr als 60-jährigen Konzerngeschichte wurde das Unternehmen zur größten Versandhandelsgruppe der Welt. Mit 30 wesentlichen Unternehmensgruppen ist die Otto Group vornehmlich in den drei Wirtschaftsräumen Deutschland, übriges Europa sowie USA präsent und zählt damit zu den expansivsten und innovativsten Unternehmensgruppen der Branche. Werner Otto vermied bei all dem den Kardinalfehler vieler Gründer*innen, sich auf Dauer im Tagesgeschäft für unentbehrlich zu halten. Stattdessen legte er größten Wert auf den Aufbau hochqualifizierter Führungsteams, die in der Lage waren, weitgehend selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln. 1981 übergab Werner Otto den Vorstandsvorsitz an seinen Sohn Dr. Michael Otto, der nach einer Lehre bei einer Bank und dem Studium der Volkswirtschaft seit 1971 im Konzern arbeitete und seitdem die Internationalisierung wesentlich vorangetrieben hat.
Werner Ottos Geist, seine Ideen und Visionen bestimmten aber weiterhin die Geschicke der Otto Group. Zwar war der Visionär innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem der erfolgreichsten Unternehmer Deutschlands geworden. Diesen Erfolg aber nahm er immer mit einer gewissen Demut zur Kenntnis, es hätte ihm ferngelegen, sich als ökonomischen Helden zu stilisieren. Stattdessen sprach er viel von dem Glück, das ihm beschert war, und von den außerordentlichen Leistungen seiner Mitarbeitenden. Und er hatte früh das Bedürfnis, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Aus dieser Motivation heraus gründete er 1969 die Werner Otto Stiftung. Ihr Zweck ist die finanzielle Förderung medizinischer Forschungsprojekte an Hamburger Krankenhäusern. Davon profitieren auch das Werner Otto Institut, das sich seit 1974 der Früherkennung und Behandlung Kinder und Jugendlicher mit Entwicklungsstörungen widmet, und das wissenschaftliche Behandlungszentrum für Krebskrankheiten im Kindesalter am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Otto engagierte sich darüber hinaus auch für den Wiederaufbau und die Renovierung von Kirchen und anderen Gebäuden, die durch den Krieg zerstört worden waren. Vor allem aber hatte er frühzeitig einen Sinn für die Notwendigkeit von Umweltschutz – auch hier war er seiner Zeit voraus. Seinen Sohn Dr. Michael Otto bekräftigte und unterstützte er mit allen Kräften, als dieser sich daran machte, ab den 1980ern aktiven Umweltschutz im operativen Geschäft der Otto Group zu verankern.
2011 starb Werner Otto im Alter von 102 Jahren in Berlin. Otto war nicht nur geliebter Familienmensch und geachteter Chef. Er und sein Werk wurden schon zu seinen Lebzeiten mit unzähligen Ehrungen bedacht. Otto erhielt das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, die Ehrendenkmünze in Gold sowie die Bürgermeister-Stolten-Medaille des Hamburger Senates und den Ehrentitel Professor der Freien und Hansestadt Hamburg, die Ernst-Reuter-Plakette des Senates Berlin sowie den Preis der Konrad-Adenauer-Stiftung für „Soziale Marktwirtschaft“ für sein unternehmerisches Handeln. Sein Freund, Altbundeskanzler Helmut Schmidt, brachte Ottos Andenken so auf den Punkt: „Werner Otto bündelt in seiner Person die hellen Seiten der jüngeren deutschen Geschichte. Ein großer Geschäftsmann, aber eben auch ein Mann mit politischem Verstand und mit Pflichtgefühl für die res publica.“