Die digitale Transformation bietet uns mannigfaltige Möglichkeiten, wird aber auch als Bedrohung wahrgenommen. Um den Ängsten und Herausforderungen, die mit ihr einhergehen, begegnen zu können, braucht es Austausch und Taten. Wie die Initiative ZukunftsWerte beides ermöglicht, erzählt die Leiterin des Projekts Susanne Kertelge.
Frau Kertelge, 2019 hat die Otto Group die Initiative ZukunftsWerte ins Leben gerufen. Warum?
Die Idee entstand aus einer Beobachtung. Uns und vielen anderen war damals schon lange klar, dass die digitale Transformation sehr schnell voranschreitet und dass wir gemeinsame Antworten und Strategien brauchen, um mit ihr verantwortungsvoll umzugehen. Wie schaffen wir etwa Strukturen, in denen die Digitalisierung sich den Menschen zuwendet und von ihnen nachhaltig genutzt werden kann und sich nicht gegen sie wendet? Wir wussten, dass man solche Rahmenbedingungen nur gemeinsam mit anderen schaffen kann. Aber es gab kein Forum, wo sich Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft über diese Fragen austauschen konnten. Alle agierten in ihren Silos. Mit der Initiative ZukunftsWerte haben wir ein solches Forum eröffnet.
Auf welcher Wertebasis steht die Initiative?
Das Gerüst bilden die europäischen Werte. Eines unserer Ziele ist es, einen Beitrag zur Entwicklung eines europäischen Modells der Digitalisierung zu leisten. Eben eines, das nicht dem chinesischen und amerikanischen Ansatz folgt, das die Menschenrechte achtet, das sozial ist und nicht nur profitgetrieben. Es geht uns aber nicht in erster Linie darum herauszufinden, was uns von den USA oder China unterscheidet, sondern was Deutschland und Europa verbindet, für was wir gemeinsam einstehen wollen, wie wir leben möchten und welche Konsequenzen das wiederum hat. Bei unseren Treffen tauschen wir uns darüber aus, welche Projekte wir vor diesem Hintergrund anschieben können. Uns ist sehr wichtig, dass wir nicht nur reden, sondern vor allem handeln.
Ihr Forum ist schon mehrere Male zusammengekommen. Wer war dabei?
Menschen, die Lust haben zu gestalten. Macher*innen, Entscheider*innen, Denker*innen. Leute aus Unternehmen, Startups, NGOs, Stiftungen und Politiker*innen von der lokalen bis zur Bundesebene. Unser Netzwerk erweitert sich fortlaufend. Mitglieder der Initiative schlagen uns immer wieder interessante Menschen vor, die wertvollen Beiträge liefern könnten. Und das war auch der erste Schritt für uns: Vernetzung und dann ergebnisoffen gemeinsam darüber nachdenken, was aus der Initiative entstehen könnte. Bisher ist die Initiative auf Deutschland begrenzt, aber letztlich wollen wir irgendwann europaweit agieren.
Sie haben gesagt, dass das Handeln im Vordergrund steht. Können Sie ein Projekt nennen, das die Initiative schon umgesetzt hat?
Bei einem unserer Treffen hat zum Beispiel die Gründerin der ReDI School of Digital Integration ihr Projekt vorgestellt. Die ReDI School bietet Migrant*innen, Geflüchteten und Menschen, die sich digitale Bildung nicht leisten können, die Möglichkeit, in kostenlosen Kursen IT-Skills zu erlernen. Und die Tech-Schule vernetzt ihre Schüler*innen mit Unternehmen, denen es heute ja sehr oft an Arbeitnehmer*innen mit digitalen Fähigkeiten mangelt. Der Vortrag kam sehr gut an und innerhalb der Initiative ZukunftsWerte hat sich eine Gruppe von Leuten gebildet, die die ReDI School weiter fördern wollten. Es waren Vertreter*innen der Stadt Hamburg, der Holistic Foundation und der Otto Group, die dabei halfen und helfen einen Hamburger Standort der Schule aufzubauen.
Nun umfasst die digitale Transformation viele Bereiche und ist weit verzweigt. Wie behalten Sie den Überblick?
Indem wir die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, erst einmal beschränken. Wir konzentrieren uns derzeit auf die Zukunft der Arbeit und digitale Bildung, wie unser Engagement bei der ReDI School zeigt. Es sind Felder, mit denen wir uns bei der Otto Group schon lange auseinandersetzen, auf denen wir eine gewisse Erfahrung haben, die wir in die Diskussionen der Initiative einbringen können und wo wir auch direkt handeln können. Es sind eben Themen, die Menschen direkt betreffen, denn viele machen sich etwa Sorgen, dass ihr Job durch die Digitalisierung unsicher oder ganz ersetzt werden könnte. Deswegen sind digitale Bildung und neue Arbeitsformen so wichtig – und wir möchten dabei helfen, Projekte auf den Weg zu bringen, die Menschen neue Möglichkeiten und mehr Sicherheit vermitteln. Wenn wir nun auf allen möglichen Feldern gleichzeitig unterwegs wären, zum Beispiel auch noch bei Gesundheitsthemen oder ökologischen Fragen in der IT, dann würden wir schnell den Überblick verlieren. Das würde unserer Prämisse widersprechen, vom Reden schnell ins Handeln zu kommen.
Um etwas zu verändern, braucht man letztlich die Politik als Partnerin. Haben Sie das Gefühl, dass sie in ihren Entscheidungen mit der Geschwindigkeit der Digitalisierung Schritt halten kann?
Ich glaube, es ist keinesfalls unsere Aufgabe, mit dem Finger auf die Politik zu zeigen und zu sagen: Ihr seid zu langsam. Es geht uns darum, den Dialog zu fördern, und da hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Die Bereitschaft der Politik, sich mit Praktiker*innen über die Digitalisierung auszutauschen, also mit Unternehmen und Expert*innen, die sich täglich mit ihr beschäftigen, hat auf alle Fälle zugenommen. Politiker*innen lassen deren Perspektiven in ihre Entscheidungen mit einfließen. Und die Initiative ZukunftsWerte bietet ein Forum, in dessen Rahmen sich diese kennenlernen können.