In Deutschland werden jeden Tag mehrere Milliarden E-Mails versendet, weltweit pro Jahr hunderte Milliarden Minuten Filme und Serien gestreamt. In vielerlei Hinsicht macht die fortschreitende Digitalisierung unser Leben einfacher. Gleichzeitig verbrauchen auch digitale Prozesse viel Energie und können den Klimawandel anheizen. Die Otto Group kennt diese Ambivalenz der Digitalisierung und entwickelt deshalb ressourcenschonende Digital-Konzepte. In Teil eins unseres dreiteiligen Features beleuchten wir die Frage, wie Nachhaltigkeit und Digitalität zusammenhängen.
Wir bestellen Waren online, buchen Reisen mit dem Smartphone, speichern Bilder, Filme oder Texte in der Cloud, treffen uns zum Arbeitsmeeting im Videochat. Die Digitalisierung hat längst alle Bereiche unseres Lebens grundlegend verändert. Auch im Handel sind die Auswirkungen im vollen Wortsinn disruptiv. Für die Otto Group, die die digitale Transformation bereits seit Jahren vorantreibt, ist das nichts Neues. Die Pandemie wirkte hier noch einmal als Beschleuniger, nicht nur, weil E-Commerce dadurch kräftige Zuwächse erreichen konnte, sondern auch, weil zahlreiche interne Prozesse, die vormals in Präsenz stattgefunden haben, nun digital oder hybrid erfolgen. Kurz: Die Digitalisierung ist längst zur Normalität geworden.
Über die Chancen und Auswirkungen der Digitalisierung auf das Klima wird vielseitig debattiert. Auch die Forschung zeichnet kein einheitliches Bild: Eine Studie des Branchenverbands Bitkom etwa fokussiert auf das Einsparpotenzial digitaler Technologien und die damit einhergehenden positiven Effekte für den Umwelt- und Klimaschutz. Eine Studie der Universität Zürich im Auftrag der Wirtschaftsverbände Swico und Swisscleantech analysiert die positiven und negativen Klimaeffekte. Sie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass digitale Produkte und Dienstleistungen gesamtgesellschaftlich betrachtet mehr Emissionen verursachen, als sie einsparen. Es stellt sich also insgesamt die Frage, wie nachhaltig die Digitalisierung ist – vor allem in Bezug auf den Treibhausgas-Ausstoß. Und der ist in der Tat gewaltig. So titelte etwa das Handelsblatt im Juli 2022 „Der Algorithmus als Klimakiller“. Aus Sicht der Otto Group ist diese Debatte längst überfällig, auch wenn sie mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen etwas zu kurz greift. Diese muss sich am Ende um Lösungen und digitale Prozesse drehen, die Umwelt- und Klimaschutz mit sozialer und wirtschaftlicher Verantwortung in Einklang bringen.
Dr. Alexandra Hildebrandt, Nachhaltigkeitsexpertin, Publizistin und Autorin, erklärt die Ausmaße des Phänomens: „Die fortschreitende Digitalisierung führt auch dazu, dass immer mehr Daten angehäuft und verschickt werden. Allein in Deutschland werden täglich mehrere Milliarden E-Mails versendet. Dabei werden auch Dateien beigefügt, die sich dadurch immer wieder vervielfachen und enorme Mengen von Speicherplatz benötigen. Es wird Strom für Milliarden an Daten benötigt. Auch wird eine große Menge an Energie zum Kühlen dieser Server verbraucht. Für IT-Anwendungen und Geräte werden dadurch insgesamt weltweit jährlich hunderte Millionen Tonnen CO2e emittiert.“ Das sind abstrakte Zahlen – anschaulich werden sie, wenn man sie in Relation setzt. So verursacht der gesamte Digitalverkehr im Internet laut einer britischen Studie heute schon so viel Treibhausgasemissionen wie der gesamte Flugverkehr weltweit.
Dass Digitalisierung nicht umsonst zu haben ist, dass sie enorme Ressourcen verbraucht, ist schon lange bekannt. In den sich verschärfenden Debatten um die Auswirkungen des Klimawandels rückt nun aber auch der Blick auf ihre Emissionen immer mehr in den Fokus. Die sich ankündigende Energiekrise in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sorgt für eine noch strengere Einschätzung. In diesem Zusammenhang wächst die Sorge, dass die positiven Auswirkungen der Digitalisierung in den Hintergrund geraten. So warnt etwa Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam, mit dem etwa Otto Group Solution Provider (OSP) zum Thema Clean IT kooperiert, eingehend vor einer drohenden „Digitalisierungsscham“. Denn unterm Strich können Gesellschaft, Wirtschaft und auch Umwelt von der Digitalisierung nur profitieren, wenn Nachhaltigkeitsaspekte mitgedacht werden.
Der Umgang der Otto Group mit dem Thema kann dabei als exemplarisch gelten. So äußert sich Prof. Dr. Tobias Wollermann, Vice President Corporate Responsibility der Otto Group: „Wir sind uns dessen voll bewusst, dass die von uns forciert vorangetriebene Digitalisierung eine Menge Energie verbraucht“. Allerdings müsse man auch wissen, dass digitale Innovationen auch einen wichtigen Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz leisten können. Etwa in der Logistik, wo Hermes Germany auf eine emissionsfreie Zustellung setzt, und das Ziel ausgegeben hat, bis 2025 in den Innenstadtbereichen der 80 größten deutschen Städte emissionsfrei zuzustellen.
In Ballungsgebieten wie der Berliner Innenstadt gelingt dies über den Einsatz von Lastenrädern und E-Fahrzeugen. Aber das ist nicht alles, und hier kommen digitale Innovationen ins Spiel. Tobias Wollermann erklärt: „Unsere digitale Tourenplanung in der Logistik hat zum Beispiel dazu geführt, dass in der Zustellung ungefähr sieben Prozent der Kilometer pro Tour eingespart werden können.“ Konkret bedeutet das: Wenn Belieferungstouren digital geplant werden, können mehrfach gefahrene Strecken oder Umwege praktisch minimiert werden.
Ein anderes Beispiel ist das Thema Videokonferenzen, die im Zuge der hybriden Arbeitskultur bei der Otto Group längst Standard sind. Die Teilnahme an einer einstündigen Videokonferenz verursacht laut einer Untersuchung des Umweltbundesamtes etwa so viele Treibhausgasemissionen wie 260 Meter mit dem Pkw zu fahren. Sie ist die nachhaltige Alternative zu physischen Meetings, für die alle Teilnehmenden extra anreisen.
Und auch im Onlinehandel zeigen sich deutliche Einsparpotenziale durch digitale Anwendungen. So setzen die Konzernfirmen der Otto Group auf smarte Lösungen im Bestellprozess, um die Anzahl der Retouren zu minimieren. Noch einen Schritt weiter geht die Konzerntochter Bonprix: Ein selbst entwickeltes Prognosesystem unterstützt bei der Erstellung von Sortimenten. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) trifft es Vorhersagen zu Nachfrage und Kauf, um das Angebot noch besser an den Wünschen der Kundinnen auszurichten. Der Effekt: Produkte mit einer schlechten Verkaufsprognose werden erst gar nicht ins Sortiment genommen, andere Artikel werden optimiert. Somit bleibt weniger Ware unverkauft und Ressourcen in der Produktion werden eingespart.
Bei diesen Beispielen handelt es sich um CO2e-Reduktionen1, die nur aufgrund neuer Digitaltechnologien getätigt werden können.
Natürlich ist sich die Otto Group bewusst, dass auch diese digitalen Innovationen wiederum Treibhausgasemissionen verursachen. Vielmehr lautet das Motto: Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Tobias Wollermann erklärt: „Uns geht es darum, das gesamte Bild zu betrachten. Die durch Digitalisierung möglichen Einsparungen und Effizienzsteigerungen sind erfreulich – gleichzeitig setzen wir alles daran, den Ressourcen- und Energieverbrauch unserer IT zu optimieren und dauerhaft zu reduzieren.
Wie das konkret in der Praxis aussieht, beleuchten wir in Teil 2 und 3 dieses Features.
[1] Unter CO2-Äquivalente (CO2e) werden alle Treibhausgase (CO2, CH4, N2O, SF6, HFC und PFC) entsprechend ihrer Treibhauswirkung im Vergleich zu CO2 verstanden.